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Hans-Jürgen Hübner:

Metropolen

Version 1.102 (19. Januar 2011)

Wer in Europa das Wort City gebraucht, der verbindet damit immer urbane Vorstellungen, und seien sie noch so unscharf. Auch für besonders bedeutende oder herausgehobene Teile einer Metropole wird dieser Begriff eingesetzt. In Kanada hingegen ist der Begriff weniger mit großstädtischen Menschenballungen verbunden, als mit relativ geringen Untergrenzen bei der Einwohnerzahl, mit einer sehr bescheidenen Festsetzung von Bebauungsdichten, besonders aber mit administrativen Rechten, vor allem solchen der Selbstverwaltung.

Hinzu kommt, dass die Mindesteinwohnerzahl, die einen Ort berechtigt, sich als City zu inkorporieren stark schwankt. Fordert die Gesetzgebung von Alberta mindestens 10.000 Einwohner, so liegt diese Grenze in Saskatchewan und in British Columbia bei 5.000. Darüber hinaus kann in British Columbia eine incorporation auch dann nicht wieder aberkennt werden, wenn die Einwohnerzahl später wieder unter diese Grenze fällt. So fiel etwa die Einwohnerzahl von Greenwood unweit der US-Grenze bis 2006 auf 625, während der Goldrausch um 1897 diese Zahl hatte in die Höhe schnellen lassen. Die Stadt ist damit die kleinste City der Provinz. Die Provinz Québec hat die Unterscheidung zwischen villes und cités ganz aufgegeben, und unterscheidet seither nur noch zwischen villes auf der einen Seite, was sowohl mit town als auch mit city übersetzt werden kann, und municipalités und villages autochthones auf der anderen. Um die umfänglichen Gemeindeaufgaben bewältigen zu können, wurden 1979 die municipalité régional du comté (MRC, frei übersetzt: Regionale Grafschaftsgemeinden) eiingerichtet, die die Comtés (Grafschaften) abgelöst haben. Von ihnen gibt es heute 86 in der Provinz. Nur die Städte Québec und Montréal sind seit 2000 als communautés urbaines organisiert, weitere zehn Städte sind ebenfalls nicht Teil einer MRC. Das gleiche gilt für Indianerreservate. Eine Besonderheit stellt Dawson im Yukon dar, das zwar zeitweise über 40.000 Einwohner hatte, heute aber weniger als 2.000 Einwohner, und dem folgerichtig der City-Status wieder abgesprochen wurde. So heißt die Stadt offiziell the town of the city of Dawson.

Die heutigen Großstädte liegen ganz überwiegend an der Stelle ehemaliger Siedlungen der Indianer, die man heute First Nations nennt. Zwar entstanden europäische Siedlungen bereits kurz nach 1600, doch sie hatten im Allgemeinen nur wenige Dutzend bis einige hundert Einwohner, und waren damit erheblich kleiner, als die Großdörfer etwa der Irokesen. Die erste vergleichsweise große Stadt war Montreal, das 1832 rund 27.000 Einwohner aufwies. Diese Zahl stieg bis 1851 auf 57.000, bis 1861 auf 90.000. Hatte sich die Stadt zunächst einen Ruf als Pelzstadt erworben, so wurde diese vergleichsweise bescheidene Industrie durch die Transporttechnologie, insbesondere den Eisenbahnbau abgelöst. Dieser sorgte für einen starken Zustrom an Arbeitskräften und Kapital. Hinzu kam die Einrichtung eines Bankensystems. Die Rue St Jacques - Saint James Street wurde zum Finanzzentrum Kanadas, 1872 entstand die dortige Börse. 1867 lebten von den etwa 3,6 Millionen Kanadiern bereits 700.000 in Citys. 1921 lebten allein in Montreal 618.000 Menschen.

Das Zentrum des anglophonen Kanada, Toronto, wuchs erst später zur Metropole heran. 1851 hatte die Stadt aber immerhin bereits 30.000 Einwohner. 1871 stieg diese Zahl auf 56.000, bis 1881 auf 86.400. Zehn Jahre später hatte sie sich mehr als verdoppelt und lag bei 181.000. Zur metropolitanen Entwicklung trug aber ebenso bei, dass sich die umgebenden Städte, wie London, Kitchener (Berlin), Hamilton oder Windsor ebenfalls rapide entwickelten und somit einen urbanisierten Großraum schufen.

Einen dritten Komplex urbaner Entwicklung stellten die Eisenbahngründungen im Westen dar. Die transkontinentalen Bahnverbindungen brachten zahlreiche Gewerbe und Einwanderer in die Prärieprovinzen, so dass die ehemaligen Indianersiedlungen und Handelsposten schnell wuchsen. So entstanden die Citys Winnipeg (1873), Calgary (1876), Regina (1882), Saskatoon (1883), Vancouver (1886) und Edmonton (1904). Vor allem Vancouver, das bald das Tor zur pazifischen Handelswelt wurde, wuchs schnell zur Metropole des Westens heran, obwohl es nicht Hauptstadt der Provinz wurde. Hatte die Stadt 1886 noch 5.000 Einwohner, so wuchs diese Zahl bis zur Jahrhundertwende auf 42.000.

1921 lebte von den 8,8 Millionen Kanadiern fast jeder zweite in einer Stadt. Heute sind es rund 85 %. Die Bürgermeister hießen, sieht man von Nord-Ontario ab, wo sie Reeves heißen, Mayors. Da die Städte ihre Gemeinsamkeiten sehr wohl erkannten, entstand 1935 die Dominion Conference of Mayors. Bereits zwei Jahre später verband sie sich mit der Union of Canadian Municipalities und nannte sich Canadian Federation of Mayors and Municipalities. Seit 1976 heißt diese Organisation Federation of Canadian Municipalities.

Die Städte wuchsen rapide weiter. So hatte Montreal 1971 bereits 1,2 Millionen Einwohner, wurde aber längst von Toronto überflügelt, das zu dieser Zeit bereits 2,6 Millionen zählte. Vancouver, die drittgrößte Stadt, hatte 1921 erst 232.000 Einwohner, doch stieg diese Zahl binnen zehn Jahren auf 347.000, nach weiteren zehn Jahren auf 394.000, dann 1951 auf 562.000. 1971 überschritt die Stadt die Millionengrenze. Kanada hatte zu dieser Zeit 21 Millionen Einwohner, so dass die meisten Städte nicht schneller wuchsen, als die Gesamteinwohnerzahl. Dennoch sind die Städte mit ihren umgebenden Orten inzwischen so dicht verwoben, dass man von städtischen Ballungszentren oder Großräumen spricht. So hatte der Großraum Toronto 2009 bereits etwa 5,5 Millionen Einwohner, Montreal 3,5 Millionen, Vancouver über 2 Millionen. Auch Edmonton, Calgary und Ottawa haben die Millionengrenze überschritten.

Literatur

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